Sterbende Zeilen

Liebe Alora,

Vielleicht erinnerst du dich an mein letztes Versprechen. Ich sagte, ich würde dich bald besuchen kommen. Ich hatte dir versprochen wieder in deinem Pavillon zu sitzen, zusammen Tee zu trinken, wie wir es immer als junge Mädchen taten, und Geschichten von aller Welt zu erzählen!

Sicherlich erinnerst du dich, als wir noch Kinder waren. So unschuldig und sorglos spielten wir in den Gärten Verstecken und pflückten ein paar Blumen, um sie unseren Müttern zu bringen. Oh, wie gerne würde ich mit dir Hand in Hand in diese Zeit zurückkehren. Wenn wir doch nur vor all dem davonlaufen könnten.

Meine liebste Alora, ich weiß, du bist eine intelligente Frau bist. Du kannst die Botschaft zwischen meinen Zeilen lesen, du weißt, wenn meine Worte nur eine Wahrheit vertuschen, die ich nicht gerne mit dir teile. Ich weiß, du fragst dich, was ich vor dir verstecke. Ich kann deine Sorgen fühlen während ich diese Worte schreibe, wohl wissend um deinen scharfen Verstand und deine bedingungslose Vernunft. Du weißt, dass ich in Schwierigkeiten bin. Es nützt nichts, es zu leugnen.

Versprich mir, meine Liebste, egal was du tust, komm nicht zu mir. Sei das gute, vernünftige Mädchen, das du immer warst, und folge nicht meinem Schritt. Ich flehe dich an, meine liebe Alora, ich flehe dich an, nicht zuzulassen, dass dein Herz über deinen Verstand siegt. Du wirst ruiniert sein, wenn du das zulässt.

Du weißt bereits, was passiert ist. Du hattest es vorausgesagt, bevor ich überhaupt die Reise angetreten hatte. Du warst immer klüger und vernünftiger als ich. Ich wäre gesegnet gewesen, wenn ich deine Weisheit und dein kalkuliertes Wesen gehabt hätte, aber leider bin ich so stur und töricht wie es nur geht.

Du hattest Recht. Ich hätte es nie zugegeben, wenn die Situation nicht so ernst wäre, aber hier sind wir. Erinnerst du dich, was du mir sagtest, bevor ich wegging? Erinnerst du dich an deine Worte? "Versage nicht, denn dieses Mal werden deine Fehler nicht rückgängig zu machen sein."

Ich hatte dir gesagt, dass ich nicht scheitern würde. Nein. Ich hatte dir geschworen, nicht zu scheitern. Leider scheine ich keine Frau zu sein, die zu ihrem Wort steht. Bitte, meine Liebe, ich weiß, dass deine Sorgen jetzt ein Loch in dein so wunderbares und gütiges Herz brennen. Niemals wirst du mir diese Zeilen verzeihen, nie wieder wirst du mir ein gutes Wort entgegenbringen. Egal wie oft ich dich nun anflehen würde, deine Gunst sei für immer verflogen.

Du willst diesen Brief nun leugnen, all diese Worte, die hier niemals stehen hätte sollen. Ich kenne dich doch nun lange genug. Dein Herz schlägt dir beinahe durch die Brust, so harsch und unbändig, dass jeder Herzschlag dir einen Stich verpasst. Aus all diese Sätze hattest du versucht den Inhalt von dem, was ich dir sage, Hoffnung zu schöpfen, dich an jene Worte zu klammern, welche nicht so bösartig und realitätseinholend klingen.

Meine Liebste, so leid es mir auch tut, so sehr ich die Zeit zurückdrehen würde, ich habe mein Todesurteil unterschrieben. Meine Tage sind nun gezählt. Sie haben mich gefunden. Meine roten Haare sind schon längst in ihren langen, lockigen Strähnen zu Boden gefallen. Meine Hände waren mir mit vereisten Silber gebunden und meine magischen Tätowierungen mir ausgebrannt worden. Du kennst das Urteil für eine Hexe, Alora.

Ich werde in Flammen aufgehen. Meine Worte nutzen mir schon lange nichts mehr. Sie werden mich nicht lebendig gehen lassen. Nicht nachdem sie mir die Schuld für den Tod des Königs gaben. Du bist nicht an den Kopf gestoßen, meine Liebe, du weißt, ich war nicht die gewesen, welche ihm das Gift in seinen Krug kippte. Doch ist das Schicksal nicht jedem gnädig und der Scheiterhaufen wird mein letzter Weg des Lebens sein. Ich bitte dich mit allem was mir noch bleibt, versuche nicht dieses Unrecht dem Recht anzugleichen. Ich flehe dich an, mein Liebling, folge nicht meinem Weg. Komm nicht zu mir. Sie werden auf dich warten. Sie werden dich auflauern, sobald du einen deiner Füße über die Schwelle des Stadttores setzt.

Es bleibt mir nur noch dieser letzte Brief. Meine einzigen Worte, die ich noch sagen kann. Aber bitte, allen Göttern sei gnädig, erhöre mich ein letztes Mal, Alora, und komme nicht zu mir. Ich weiß, du sehnst dich. Ich sehne mich auch nach dir. Noch einmal möchte ich dir durch deine kurz geschnittenen schwarzen Haare fahren. Noch einmal möchte ich dich lächeln und deine grünen Augen aufleuchten sehen. Ach, dein Lächeln… wie sehr habe ich es geliebt habe. Und nun werde ich es dir für immer von deinen weichen Lippen wischen. Nie wieder werde ich es zu Gesicht bekommen.

Ich weine, so wie du es nun tust, als ich dir diesen Brief schreibe. Ich weiß, du hörst meine Stimme durch meine Worte und doch wird sie mit den Jahren verblassen und bald nur mehr eine Erinnerung von geraumer Zeit sein. Wir wussten beide, dass diese Liebe nicht ewig währen würde. Und doch wollte niemand von uns einsehen, dass wir uns damit zugrundrichten würden. Und jetzt breche ich dir das Herz in Millionen Stücke, Millionen Splitter, die du nie wieder zu einem Ganzen zusammensetzen kannst.

Oh, wie sehr ich es bereue, gegangen zu sein. Ich höre deine Warnung weiterhin in meinem Kopf schwirren, dein tadelndes Gesicht schwebt mir vor meinem Gesicht. Nie hätte ich gehen dürfen. Und doch war ich hinfort zu einem Ort, der nun mein Verderben spinnt. Umzingelt bin ich, umzingelt von Leuten, die mit Stolz und Hochmut meinen Tod befeuern werden, wenn ich meinen Weg zum Scheiterhaufen antrete.

Liebste Alora, so sehr es mich auch schmerzt, muss ich diese Zeilen nun zu Ende schreiben. Bitte schüre deine Vernunft und lass deine Herzensliebe für mich versagen. Ich habe dich geliebt wie niemand anderen in meinem Leben. Ich wäre bereit gewesen für dich zu sterben, oder dir in den Tod zu folgen. Ein Leben ohne dich wäre nicht lebenswert gewesen. Meine Liebe für dich war immer bedingungslos und aufrichtig gewesen, dennoch muss ich dir sagen, nicht dasselbe für mich zu tun. Dein Leben ist das schönste Gut in dieser Welt. Folge mir nicht durch den Flammenmantel, gehe mir nicht nach durch diesen Feuerregen, welcher sich über mich ergießen wird. Schau nicht zu, wenn mein Leben sich dem Tode neigt.

Ich liebe dich. Ich habe dich immer geliebt und werde dich auch nach dem Tode lieben. Glaube so wie ich es tue und unsere Liebe wird sich in einem anderen, besseren Leben finden.

Deine,

Linette